Wie werden wir zukünftig kommunizieren? Und hat Deutsch dabei überhaupt eine Zukunft? Sei es der Kampf um die internationale Sprachkompetenz als Bedingung auf einem globalen Wirtschaftsmarkt oder sei es das Klagen über den mitteleuropäisch deutschsprachigen Kulturzerfall – in emotionaler Weise werden Diskussionen um gutes Deutsch, Frühfranzösisch, weltmarktfähiges Englisch oder Kommunikationskompetenz zwischen Schulen, Elternhäusern, Bildungs- und Wirtschaftspolitik geführt.
Von Dr. Andreas M. Walker
Zukunftentdecker, Weiterdenker, Strategieentwickler | www.weiterdenken.ch
Publikation mit freundlichem Einverständnis des Autors
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war Deutsch nach dem mittelalterlichen Latein die führende Wissenschafts- und Techniksprache; zehn Prozent aller Bücher erschienen in deutscher Sprache. In einem Lebensraum, der meistens regional beschränkt war, mussten unsere Grosseltern und Eltern in der Nordwestschweiz primär die deutsche Standardsprache als Aufwertung der schweizerischen Mundart beherrschen, wohlgemerkt ergänzt durch unsere zweite Landessprache Französisch und in humanistischen Kreisen durch Lateinisch. Bedenken wir: Bis ins 19. Jahrhundert wurden Vorlesungen an den Universitäten in ganz Europa auf Latein gehalten.
Der Blick in die Statistik zeigt uns, dass es unter rund 7'000 Sprachen nur 300 mit mehr als einer Million Sprechenden gibt. Deutsch rangiert zwar deutlich hinter Chinesisch, Englisch, Hindi, Spanisch und Arabisch auf Platz zehn, zählt aber zu den Weltsprachen mit mehr als 100 Millionen «Native Speakers». Dabei ist Englisch die häufigste gesprochene Sprache, da die meisten Englisch als Zweitsprache lernen.
Innerhalb Europas ist Deutsch eine der 24 Amtssprachen der EU, die aber mit Abstand in den meisten Ländern als Muttersprache verbreitet ist – in fünf Ländern als Amtssprache und in elf Ländern als offizielle Regional- oder Minderheitensprache. Wenn man Russisch als häufigste Muttersprache auf dem europäischen Kontinent ausklammert, steht Deutsch mit 32 Prozent an prominenter zweiter Stelle. Englisch wird neben Grossbritannien nur noch in Irland und Malta als Amtssprache gesprochen und gilt nirgends als Regionalsprache, wird aber von 51 Prozent gesprochen. Französisch gilt in vier Ländern als Amts- und in einem Land als Regionalsprache.
Neun Megatrends
Mark Twain spottete einst, man solle Voraussagen unbedingt vermeiden, besonders solche über die Zukunft. Trotzdem lassen sich neun Megatrends erkennen, die unsere Sprache in der kommenden Generation beeinflussen werden.
- Experten sind sich einig, dass die Globalisierung in Wissenschaft, Wirtschaft und privatem Reiseverhalten voranschreiten wird – trotz Angst vor Terrorismus, Flüchtlingen und regionalen
Krisen. Deshalb wird das Bedürfnis nach einer gemeinsamen Weltsprache weiter wachsen – einem einfachen Englisch, auch «Pidgin English» genannt, oder das von Nerrière erfundene «Globish», das auf
einem Grundwortschatz von 1'500 Vokabeln basiert. Wie empfehlen doch Sprachschulen? «First off all: Improve your English; it will stay important.»
- Zugleich provoziert aber die Globalisierung das menschliche Bedürfnis nach einer regional überschaubaren Heimat, so dass in politischen und emotionalen Fragen Muttersprachen und Dialekte
wieder stark an Bedeutung gewinnen: Für die Bereiche der persönlichen Identität und Gefühle sowie des privaten Zusammenlebens werden diese wichtig bleiben. In Europa, in dem Deutsch in fünf
Ländern Amtssprache und in elf Ländern Regionalsprache ist, wird Deutsch noch lange gesprochen werden.
- Die akademischen und wirtschaftlichen Eliten der Generationen Y und Z positionieren sich in selbstverständlicher Weise international – im Internet, in Social Media und im Gaming ist
Globalität normal geworden, aufgrund der offenen Grenzen und billigen Flugkosten sind Reisen üblich, ein Auslandsstudium oder mindestens Austauschsemester sind weit verbreitet – Englisch ist eine
«Conditio sine qua non».
- Gemischtsprachige Arbeitsteams sowie Lebenspaare sind die offensichtliche Konsequenz, so dass neben Englisch auch eine Grundkompetenz in den jeweils anderen Muttersprachen entsteht und zu
Mischformen und Mehrsprachigkeit führt, gerade auch bei Kindern aus diesen Beziehungen.
- Sprache wird dabei hybrider und situativer werden. Das Verständnis von Korrektheit einer Literatur- und Behördensprache des 20. Jahrhunderts wird zwar für das bildungsbürgerliche Verständnis
eine Bedeutung behalten – die Kunst hält sich aber schon lange nicht mehr daran und die Wirtschaft fragt danach, was der Markt akzeptiert. In der Alltagssprache werden laufend neue Formen von
Jugend- und Community-Sprachen entstehen und verschwinden. Bei sprachlich schwachen Menschen führen diese «Multi-Ethnolekte» zum Phänomen des «Code-Switching» – wenn man keine Sprache mehr
perfekt beherrscht und im Gespräch situativ zwischen Sprachen wechselt. Doch wie gesagt, im Leben jenseits der Schule gilt die Frage: Verstehen mich meine Kollegen und meine Kunden?
- Diese hybride Umgebung, die dynamische Lebens- und Arbeitsweise sowie die Social Media führen zu immer kürzeren Texten und einfacheren Sprachen. Zwar ist der Wortschatz am Wachsen und es wird
schriftlich viel kommuniziert, dies ist via Social Media sehr einfach geworden. Aber an Stelle des Briefes ist die E-Mail getreten und diese wurde durch Facebook und WhatsApp abgelöst. Die
160-Zeichen-SMS wurde je nach Anbieter auf 480 bis 1'530 Zeichen erweitert, Twitter bleibt bei 140 Zeichen, die meisten Retweets umfassen 71 bis 100 Zeichen und die ideale Länge eines
Facebook-Posts liegt bei etwa 100 Zeichen. Entsprechend flexibel werden Grammatik und Orthografie verwendet. Sogar für Fachartikel gilt: Nach sieben Minuten hören die meisten Besucher auf zu
lesen, was 1'400 bis 1'800 Wörter bedeutet und nur wenig länger als dieser Artikel ist.
- Doch dies bedeutet nun keine Verarmung, vielmehr werden Kurztexte mit einer Vielzahl von Zeichen wie Emojis, Bilder und Clips ergänzt, nicht nur in den Jugendsprachen. In einer Welt, in der
noch nie so viel kommuniziert wurde, geht es wortwörtlich darum, den «Augenblick» zu erhaschen. So mache auch ich auf Internet die zwiespältige Erfahrung, dass nicht etwa meine klugen und
wohlformulierten Texte, sondern originelle Fotos und freche Sprüche am meisten «geliked» und geteilt werden, nicht nur privat, sondern auch von Kunden. Wenn wir von Kommunikationskompetenz
sprechen, bedeutet dies nicht nur Sprache, sondern muss viel umfassender verstanden werden und auch Kenntnisse von Semiotik und Semantik beinhalten, nicht etwa Malen, sondern eben die kompetente
Nutzung von Zeichen und Bildern als Kommunikation.
- Seit dem Feminismus besteht die politische Forderung nach geschlechtersensibler Sprache, was von alleine seine Wege gehen wird, denn das Gymnasium wird mittlerweile zu 57 Prozent von Mädchen
abgeschlossen und 52 Prozent der Hochschul- und Fachhochschulabschlüsse gehen an junge Frauen. Bemerkenswert dabei ist, dass an den Universitäten Sprach- und Literaturwissenschaften zu 72 Prozent
von Frauen und technische Wissenschaften zu 71 Prozent von Männern studiert werden. So hören wir an den Schulen auch meistens von einseitig begabten beziehungsweise sprachschwachen Buben, die von
Frauen erzogen werden.
- Es ist also wenig erstaunlich, dass Apps und Wearables dank grosser Fortschritte in Miniaturisierung und künstlicher Intelligenz immer wichtiger werden für unser Kommunizieren. Mancher Kollege hofft auf eine Zukunft, in der «Mann» gar keine Fremdsprache mehr lernen muss, weil Maschinen für uns die ganze Übersetzung simultan übernehmen werden. Und so sehr diese Vorstellung nach Science Fiction klingt – gerade der Sprachschwache profitiert schon heute von zahlreichen Hilfestellungen. Dabei wird diese Mensch-Maschine-Kommunikation unsere Sprache weiter vereinfachen, weil Texte optimiert werden, damit sie von den Indexierungs- und Ranking-Algorithmen der Suchmaschinen einfacher gefunden werden. Immer mehr handeln wir im Bewusstsein, dass Computer mitlesen und ordnen, um Inhalte auffindbar zu machen.
Fazit
Die Sprache war schon immer in Veränderung und hat sich seit je den Bedürfnissen und Funktionsweisen einer Gemeinschaft angepasst. Und sei diese Gemeinschaft nun eine Sippe, eine Religionsgemeinschaft oder ein Marktplatz – Sprache ist ein Mittel neben anderen, um Kommunikation und Gemeinschaft zu ermöglichen. Und dies müssen wir als soziale Grundkompetenz in Familie, Schule und am Arbeitsplatz sicherstellen.
Dr. Andreas M. Walker (geboren 1965) zählt zu den führenden Zukunfts- und Trendexperten der Schweiz. Er studierte Geografie, Geschichte und Germanistik, gewann mit seiner Doktorarbeit in Wirtschaftsgeografie den Award der Handelskammern am Oberrhein, sammelte internationale Berufserfahrung in der Finanzbranche und berät seit 2002 Wirtschaft, Verwaltung und Politik zu zukünftigen Chancen und Risiken. Er ist Co-Präsident von swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung und Elternratspräsident einer Sekundarschule. Weiterführende Infos auf www.weiterdenken.ch.